Welterbe trifft documenta

Schon zur documenta 14 suchte unser Verein eine Möglichkeit, die für den Bergpark in Kassel 2013 neu gewonnene Auszeichnung „Weltkulturerbe“ mit der „documenta“ zu verbinden. Der Themenabend in der „Alten Wache“ im November 2016 endete mit einer Mahnung, ein solches Zusammentreffen nicht als Möblierung des Parks mit moderner Kunst misszuverstehen.
Warum also sollte sich der Welterbeverein in diesem Jahr diesem Thema noch einmal stellen? Diese Herausforderung anzunehmen, beruhte zunächst auf einer Überraschung: Wir, die wir uns aus historischem und ästhetischem Blickwinkel mit Gartenkunst beschäftigen, sahen uns auf der documenta fifteen plötzlich zum Besuch einer Vielzahl von „Gärten“ eingeladen. Mancher Kritiker hat dies als Rückkehr zu der zeitgleichen „Gartenschau“ von 1955 angesehen und mancher Besucher macht bis heute dieser „Schrebergartenidylle“ ihren Kunstcharakter streitig.

Aber kommen wir zur documenta fifteen zurück: Zwei kleine Gärten befinden sich dort auf zwei gleich großen Inseln, die auf der Fulda schwimmen. „Sie erinnern uns daran, wie wir über Jahrhunderte kontrollierte Territorien geschaffen und gleichzeitig im Kontext ökologischer und ökonomischer Katastrophen die Kontrollillusion verloren haben.“ Diese Ankündigung der verantwortlichen Künstlerin Ilona Nemeth und der Hinweis, Ilona Nemeth habe das Format der „floating gardens“ 2011 auf der Biennale in Budapest erstmals als „Kunst“ entworfen, weckten unser Interesse. Damals wählte sie als positives Gartenmodell einen „French Garden“, heute, 2022, nennt sie die exponierten Gärten „Healing Garden“ und „Future Garden“. Das musste uns irritieren: Der Kunstcharakter des bis heute in seiner Achsialität sichtbaren „französischen“ Gartens in Wilhelmshöhe ist fester Bestandteil seines von der Unesco anerkannten „outstanding universal value“, dessen hortikultureller Schutz und Erhalt sind und bleiben wichtigstes Ziel seiner Pflege. Welche „künstlerische“ Pflegebotschaft entnehmen wir demgegenüber dem „Ökosystem“ der beiden Floating Gardens auf der Fulda? Zur Beantwortung unserer Fragen suchten und fanden wir bald den Kontakt zu Ilona Nemeth.

Unser Treffen unter der Leitung von Brigitte Bergholter stand unter einem guten Stern! Im Miteinander und Nebeneinander unserer unterschiedlichen Herkunftsländer und Sprachkompetenzen entwickelte sich eine differenzierende Gesprächsatmosphäre unter den acht Beteiligten: Es wurde ungarisch gesprochen und übersetzt, zugleich deutsch und englisch, dabei die Botschaft der beiden Gärten noch einmal genau gefasst: Ilona hat ihre Floating Gardens seit 2011 an unterschiedlichen Orten in Europa immer neu aufgebaut – jeweils mit einer anderen Botschaft und einer anderen praktischen Art der Verwendung, immer auch unter Hinweis auf die Erweiterbarkeit der besonders im städtischen Umfeld gut nutzbaren kleinen schwimmenden Gartenflächen.

Inzwischen, seit 2011 und ihrer ersten Beschäftigung mit den Floating Gardens sei ihr die Umwelt- und Klimafrage und damit „das Verhältnis von Mensch und Natur“ als Erfahrung eines Kontrollverlusts immer wichtiger geworden. Hält sie diese Entwicklung für steuerbar oder gar umkehrbar? Ihr Future Garden zeigt dem Betrachter, wie durch eine gezielte Pflanzenauswahl – hier durch Fachleute der Uni Kassel und eine Kasseler Staudengärtnerei – eine auch in Zukunft überlebensfähige Vegetation planbar sei. Im Healing Garden zeige sich die „heilende“ Wirkung einer gezielten Pflanzenauswahl auf den über Generationen immer wieder neu belasteten Boden … hier den ausgehobenen und zu Forschungszwecken wieder zurückzugebenden Boden des Uni-Geländes des Jahres 2022. Sollten wir also bei dem bleiben, was schon 2016 bilanziert wurde: „Der Park ist das Kunstwerk“ und als solches ein autonomer Wirkungszusammenhang. Darauf angesprochen, gibt Ilona zu bedenken: Es liege vielmehr an uns, „im Bergpark einige Stellen auszusparen, wo zeitgenössisches Denken zum Tragen kommen kann“. Vegetationsdynamik und Pflegeprognostik – so schreibt Prof. Dr. Bellin-Harder von der Kasseler Uni – seien immer wieder neu zu definieren … Sei es im Bergpark im Wandel der Umwelt und Klimabedingungen, sei es in den Gartenexperimenten der documenta fifteen-Künstlerin Ilona Nemeth. Warum also nicht – so der Vorschlag aus unserer kleinen Gesprächsgruppe nach 45 Minuten angeregter Diskussion – bis zum Wintereinbruch die Floating Gardens in den Fontänenteich setzen? To whom it may concern.

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